Jugendstadien und Kälteeinbruch

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Jugendstadien von Heuschrecken im Schnee

Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass bei diesem warmen Frühlingswetter bis Ende März 2022 zahlreiche Heuschreckenarten aus den Eiern geschlüpft sind. Auf einer Magerweide im Kanton Baselland/Schweiz auf 450 m Höhe waren es:

Kleine Goldschrecke. (Euthystira brachyptera)
Heidegrashüpfer (Stenobothrus lineatus)
Buntbäuchiger Grashüfper (Omocestus rufipes)
Grünes Heupferd (Tettigonia viridissima)
Warzenbeisser (Decticus verrucivorus)
Westliche Beissschrecke (Platycleis albopunctata)

Wie haben diese Jugendstadien den Kälteeinbruch anfangs April überlebt?
Im Beobachtungsgebiet hat es am Freitag und Samstag (1. und 2. April) leicht geschneit, am Schluss lag eine Schneedecke von ca. 10 cm, in der Nacht auf Montag herrschten Temperaturen von -2°C.
Am Montag, den 4. April besuchte ich den Lebensraum. Die Sonne schien, es war mild. Der südexponierte Steilhang war bereits wieder schneefrei. Am flacheren Fusse des Hanges hatte es noch inselartige Schneeflecken.
Auf den Schneeflecken konnten mehrere Nymphen des Grünen Heupferdes und der Kleinen Goldschrecke beobachtet werden, beide im 2. Jugendstadium. Diese hielten sich meistens nur kurze Zeit auf der Schneefläche auf und hüpften dann wieder weg. Einzig ein Jugendstadium der Kleinen Goldschrecke war vom Schnee umgeben und befand sich in einer Kältestarre. Ich befreite das Tier von Schnee und hielt es in der Hand an der Sonne - nach ca. 5 Minuten hüpfte es weg.
Offenbar hat der Kälteeinbruch mit Schnee den Jugendstadien nicht geschadet. Ich konnte in der Beobachtungsfläche bei keiner Art einen zahlenmässigen Einbruch der Individuen feststellen.

Dieter
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Grünes Heupferd, N2, auf Schneeinsel Grünes Heupferd, N2, auf Schneeinsel
Kleine Goldschrecke vom Schnee umgeben, in Kältestarre Kleine Goldschrecke vom Schnee umgeben, in Kältestarre

Re: Jugendstadien und Kälteeinbruch

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Nachtrag: Temperaturen im März 2022

Im vorgängigen Beitrag wurde darauf hingewiesen, dass Ende März 2022 bereits Nymphen von 6 Heuschreckenarten (3 Kurzfühler-, 3 Langfühlerschrecken) auf einer Magerweide in einer Höhe von 450m geschlüpft waren. Wie ist die Entwicklung der Nymphen in dieser Jahreszeit möglich?

Auf einem südexponierten Hang im Beobchtungsgebiet habe ich einen Temperatur-Datalogger von Switrace in einer kleinen Mulde ausgebracht und mit Moos leicht zugedeckt. Die Temperaturmessungen starteten am 17. März 2022, alle 16 Minuten wurde rund um die Uhr die Temperaturen registriert; am 4. April fiel der Datalogger nach einem Kälteeinbruch leider aus. Die Ergebnisse sehen sie in der angehängten Grafik.

- Maximalwerte: vom 19. März an liegen die maximalen Bodentemperaturen über 35°C, die Werte steigen in den folgenden Tagen stetig an und erreichten am 28. März ein Maximum von 41,6°C! In der folgenden Kälteperiode fallen die Maximalwerte stark ab.
- Minimalwerte: nachts fielen die Temperaturen oft auf Werte unter 5°C, der niedrigste Wert wurde während des Kälteinbruchs Ende März/anfangs April mit 3,25°C erreicht.
- Durchschnittswert: während der gesamten Messperiode: 13.06°C, vom 19. bis zum 28. März, ohne Kälteperiode: 16.4°C
- Die täglichen Temperaturen über 20 °C stiegen von 7 Stunden am 19.3. auf 8 Stunden am 28.3.

Zusammenfassend lässt sich zeigen, dass in der zweiten Märzhälfte an südexponierten Hängen bereits hohe Bodentemperaturen erreicht werden. Nachts treten zwar noch recht tiefe Temperaturen auf, zudem können Kälteeinbrüche auftreten. Offenbar können die frühen Nymphen mit diesen Temperaturverhältnissen gut überleben.
Offen bleiben Fragen: Was ist wohl der Vorteil des frühen Schlüpfens? Wie hoch ist der Entwicklungsnullpunkt (Temperatur), unter dem die Entwicklung der Nymphen eingestellt wird?
Dieter
Zuletzt geändert von Dieter Thommen am 21. Dezember 2022 08:58, insgesamt 1-mal geändert.
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Re: Jugendstadien und Kälteeinbruch

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Lieber Dieter,

vielen Dank für Deinen spannenden Nachtrag.

Zu Deinen offenen Fragen sind mir spontan zwei Gedanken gekommen:

a) Ein sehr früher Schlüpfzeitpunkt könnte auch die Anzahl der an sich möglichen Prädatoren verringern (wenn diese nicht auch ihre Zeiten vorverlagern?), das erreichen eines älteren, mobileren Stadiums könnte somit erhöht sein.

b) Die Natur geht nicht nach "Vorteil", sondern es läuft ein automatisches Programm im Körper ab bzw. wird in Gang gesetzt, sobald eine bestimmte Bodentemperatur (mglw. über einen gewissen Zeitraum?) erreicht ist, die im Laufe der Evolution als am wahrscheinlichsten für ein Temperatur-"Überleben der folgenden Zeit ausgemacht wurde. Der Klimawandel ist da vielleicht zu schnell für geeignete Anpassungen der Tiere, sodass ein solch früher Schlüpfzeitpunkt in diesem Fall dann kontraproduktiv sein müsste. Immer vorausgesetzt, das ist ein gangbarer Ansatz.

Gut möglich, dass es wissenschaftliche Informationen dazu gibt, die ich bisher nicht besitze, und die meinen Gedanken sofort widersprächen. Ich bin auf jeden Fall gespannt, ob es noch andere Aspekte dazu gibt?

Herzliche Grüße
Angela